Mittwoch, 17. Januar 2018
Moderne Revolutionstheorie
Dividuum

Es gibt Bücher, die bringen mich an den Rand des Verstehens, zumal, wenn ich sie in der englischen Version lese, obwohl sie ursprünglich auf Deutsch geschrieben wurden. Zu diesen Büchern zählt das Werk von Gerd Raunig, Dividuum, Machinic Capitalism And Molecular Revolution, Semiotext(e), MIT Press 2016,207 Seiten, mir ans Herz gelegt durch den newsletter, den mir eipcp . european institute for progressive cultural policies mit Sitz in Wien und Linz, schicken darf, die das Buch als Rezensionsexemplar anboten. Ich hätte nicht so neugierig sein soll, dann wäre mir die Mühe dieser Lektüre erspart geblieben. Dabei fand ich den Einstieg schon sehr mutig, das Thema des Gesellschaftswandels durch Bezug auf die römischen und christlichen Klassiker anzugehen. Es ist wohl die Profession des Philosophen, irre lang auf den Bedeutungsraum von Teilung, Teilhabe, Aufteilung, Verteilung usw. rumreiten zu können, wie es auch Raunig schafft. Und natürlich wird ein Werk eines Philosophieprofessors und Kunsttheoretikers nicht einfach so runter geschrieben, nein, da kommt auch ein gewisser literarischer Anspruch in den Aufbau rein, da tauchen Ritornellos auf, Fallgeschichten und als Notierung zu „Dissemblage.: eine leere Seite:
Das alles und der Inhalt, haben es mir schwer gemacht, das Buch einfach so runter zu lesen und zu rezensieren. Deshalb entschuldige ich mich bei eipcp für die Zeit, die ich dazu gebraucht habe und sage Danke für diese spezielle Erfahrung, zeigt sie mir doch, dass es lohnt, sich mit den Fragen des gesellschaftlichen Wandels zu beschäftigen und dabei die historische Perspektive nicht auszusparen. Ob man dafür jedoch ab ovo vorgehen muss, wie Raunig, bezweifle ich sehr.
Sein erstes Ei ist allerdings die Perspektive des Schreibens, der Autorenschaft, hierbei auf die Ausformungen der Jetztzeit eingehend, die offenbaren, dass es die originäre Autorenschaft so kaum noch zu geben scheint, zumindest die politischen Ghostewriter, im Französischen nègre, bewirken mit ihren vorgeschobenen Autoren eine besondere Form des geteilten Schreibens. Raunig ist jedoch vor allem von dem neuen amazonbehafteten Schreiben fasziniert, bei der die Leseanalyse im BIG DATA-Stil im Kern in eine Art Hölle der Interaktivität zu führen scheint. „The intellect that does not close itself off in the single author-individual ... invents itself in machinic capitalism as a transversal intellect. … a machinic-dividual stream of thinking that … permeats individuals and collectives, … and allows new form of disobedience to emerge, new forms of noncompliance, new dissemblages”(19). Raunig geriert sich als eine Art Revolutionstheoretiker des Algorithmuszeitalters. Hinter all der kapitalistischen Digitalisierungsmaschinisierung sieht er eine Art Anarchie aufziehen: „ No one rules the multitude of ghosts, no Holy Ghost controls the many voices, no father governs the sons.“(23)

Raunig ist belesen, und das ist mitunter sehr unterhaltsam, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass hier in Hegelscher Dialektikmanier quasi falsifikationssichere Analysen der Klassik und der Moderne gleichermaßen geliefert werden. Das Innere ist Außen, das Außen ist das Innere, das Teilende ist Ungeteilte, das Ungeteilte ist das Teilende (das sind jetzt keine Zitate, eher meine persönliche Persiflage) usw. usw. Von Platon über Cicero, von der klassischen Komödie bis zur Sklaverei, so ziemlich alles gerät in der Fokus der Begriffsherleitung. Dem geneigten Leser sei als ein sprachlicher Höhepunkt die weitere Ausführung auf folgendem Satz empfohlen: „In order to bring the divisible-many under the rule of the indivisible-one through the procedure of partitioning, the most diverse and bizarre operations become necessary: ...“ (49, viel Spaß). Selbstverständlich darf auch Karl Marx nicht fehlen, schließlich ist die Suche nach dem neuen revolutionären Subjekt des digitalen Maschinenkapitalismus eine Herkulesaufgabe, der man nicht ohne historische Vorgabe nachgehen kann. Und warum sollte ein Philosoph nicht auch bei Thomas von Aquin fündig werden? Wie Raunig ein revolutionäres Projekt aufziehen sieht, wird an folgendem Beispiel deutlich: „ However, the amphibian paths of the revolutionary machines no longer need any mole burrows today to dig their way through the world and pop up here or there, in different geo-political situations, in old-new form“(187)

Für Raunig spricht, dass sein überfließendes Talent für sprachliche und inhaltliche Neuverknüpfungen beim gewillten Leser eine Menge Nachdenken auslösen kann, das ihn auf neue Fährten und unbekannte Perspektiven locken kann. Mann oder Frau sollten aber genügend Ruhe und Zeit für diese herausfordernde mit dialektischen Begriffskaskaden reichlich gefüllte Lektüre mitbringen.

Nachklapp:
Mir als Liberalem fällt es schwer, einem Maschinenkonzept einen Subjektcharakter zuzuweisen, das trennt mich deutlich von marxistisch inspirierten Theoretikern. Bei aller Emergenz, der Mensch macht sich seine Geschichte.